Kommunikationsfalle Normative Aussen-Fokussierung
Beispiel Autismus-Freizeit
Methodenblitzlicht:
Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg als Unterstützung für eine differenzierte Wahrnehmung eigener Werte und Gefühle (Selbstexpertise/Soziale Kompetenz)
Ausschnitt aus einem Hand Out des Seminars: „Fair kommunizieren mit autistischen Menschen“
Ich komme nun zu einem weit verbreiteten Phänomen, das man nicht nur im Autismusbereich antrifft. Hier geht es um einen Kommunikationsstil, den Friedemann Schulz von Thun als den bestimmend-kontrollierenden Stil bezeichnet (Quelle: “Miteinander reden 2, Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung”, Schulz von Thun, S. 201 ff).
Die herausragende Botschaft dieses Stils lautet: “Das macht man so und nicht anders!”
Perfiderweise trifft hier die defizitäre Grundhaltung in Bezug auf Autismus mit der strikten Erwartung, sich an die nicht-autistische Umgebung anzupassen zusammen mit der Idee, es gäbe keinerlei kommunikative Möglichkeiten als die des normativ skandierten Postulats, das man es so machen müsse und nicht anders. So wie es die sozialen Konventionen erwarten. Häufig ist hier die Rede von so genanntem angemessenen Verhalten. Von richtig und falsch statt nützlich/hilfreich und weniger nützlich/weniger hilfreich oder der Perspektive der Integrität. Was das Ganze mit Blick auf autistische Menschen noch perfider macht, ist das Zusammentreffen mit einem existentiellen Bedürfnis vieler AutistInnen nach allgemeingültigen Regeln, die das Chaos da draussen relativieren und beim Navigieren durch Interaktion helfen können.
Während einer Autismus-Freizeit bin ich 2012 auf einen jungen Mann getroffen, der ein Opfer dieser normativen Außen-Fokussierung geworden war.
Gefühlte 100 mal am Tag aber tatsächlich “nur” etwa 10 mal kam dieser junge Mann an und fragte ohne erkennbaren Anlass: “Ähm, sag mal, hab ich schon wieder etwas falsch gemacht?”
Einfach so. Ich habe dann jedes Mal nach dem konkreten Bezug gefragt und angemerkt, dass es Falsch oder Richtig aus meiner Sicht meist nicht gäbe und mit ihm die konkrete Situation reflektiert, um die es jeweils ging. Dieser junge Mann war derart eingeschüchtert und muss gefühlte 1 Mio. mal gehört haben, dass er in sozialen Situation etwas falsch machte, dass er komplett nach außen fokussiert war im ängstlichen Bemühen, den Erwartungen da draußen, was immer es sein mochte, gerecht zu werden. Erschütternd.
An einem Beispiel, das ich besonders berührend fand, möchte ich nun exemplarisch zeigen, wie ein Kommunikations-Coaching mit Methoden der Gewaltfreien Kommunikation so eine Außenfokussierung auflösen helfen kann.
Eine Teilnehmerin war psychisch extrem instabil und dekompensierte täglich. Die meisten (ausnahmslos autistischen) Camp-TeilnehmerInnen waren sehr besorgt um sie. Der junge Mann kam nun mit einer Idee: Er hatte sich überlegt, man könne doch eine schöne Karte malen für die junge Frau und alle darauf unterschreiben lassen, dass man sich wünscht, dass es ihr bald besserginge und dass sie nicht allein sei. Er wollte nun von mir wissen, ob ich das richtig finde und was ich glaube darauf reagieren würde.
Ich habe ihm erklärt, dass es auch hier aus meiner Sicht kein Richtig und Falsch gäbe, dass wir aber trotzdem gemeinsam rausfinden könnten, ob er es machen soll.
Wir haben also mit der Methode der Gewaltfreien Kommunikation (Die App “Empathie-Navigator” von Al Weckert kam zum Einsatz) zunächst seine innere Motivation erforscht.
- Wahrnehmung: Dem Mädchen geht es sehr schlecht.
- Gefühl: traurig
- Bedürfnis: Unterstützung, Solidarität
- Bitte an sich selbst: Unterstütze sie!
Was zunächst nicht aufgelöst war, war seine Sorge, ob sie diese Aktion auch als wunderbar empfinden würde. Ich habe ihm erklärt, dass grundsätzlich der Empfänger einer Nachricht bestimmt, wie er etwas findet, egal wie wunderbar die Intention des anderen ist.
Dass die Reaktion daher nicht kontrollierbar sei und er damit rechnen könne, dass sie entweder froh wäre oder auch noch verzweifelter, zumal sie in ihrer derzeitigen Instabilität schon anfänge zu weinen, wenn man ihr anbietet, einen Tee für sie zu machen. Dass ich aber finde, dass es wichtig sei, nach den eigenen Werten zu handeln. Und dass, wenn er sein Mitgefühl und seine Solidarität ausdrücken möchte, weil das sowohl seinen Gefühlen und Bedürfnissen entspricht und seinen Werten, dass es damit aus meiner Sicht integer und in diesem Sinne richtig sei. Hier ganz wichtig: Das Herausstellen dieser Sicht als Meinung, die man nicht teilen muss!
Ich habe ihm also ein werte- und bedürfnisorientiertes Vorgehen angeboten, das auf Integrität/Stimmigkeit fokussiert als Alternativstrategie in der Interaktion des bisher eher wenig hilfreichen Fokus Richtig/Falsch im Außen.
Im Falle sie also abwehrend reagiert hätte, hätte er ein wenig traurig, aber gefasst damit umgehen können.
Gesagt, getan. Der junge Mann entschied sich, es zu wagen. Er handelte entsprechend seiner Werte und war aufgrund der vorangegangenen Reflektionen nicht auf eine positive Reaktion angewiesen.
Dennoch war es natürlich toll, dass die junge Frau sehr gerührt über diese Anteilnahme war und der junge Mann sehr stolz auf sich.