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Autor: Esther Schramm

Innere Klärung – Methodenblitzlicht Gewaltfreie Kommunikation im Autismus Spektrum

Kommunikationsfalle Normative Aussen-Fokussierung
Beispiel Autismus-Freizeit

Methodenblitzlicht:

Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg als Unterstützung für eine differenzierte Wahrnehmung eigener Werte und Gefühle (Selbstexpertise/Soziale Kompetenz)

Ausschnitt aus einem Hand Out des Seminars: „Fair kommunizieren mit autistischen Menschen“

 

Ich komme nun zu einem weit verbreiteten Phänomen, das man nicht nur im Autismusbereich antrifft. Hier geht es um einen Kommunikationsstil, den Friedemann Schulz von Thun als den bestimmend-kontrollierenden Stil bezeichnet (Quelle: “Miteinander reden 2, Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung”, Schulz von Thun, S. 201 ff).

Die herausragende Botschaft dieses Stils lautet: “Das macht man so und nicht anders!”

Perfiderweise trifft hier die defizitäre Grundhaltung in Bezug auf Autismus mit der strikten Erwartung, sich an die nicht-autistische Umgebung anzupassen zusammen mit der Idee, es gäbe keinerlei kommunikative Möglichkeiten als die des normativ skandierten Postulats, das man es so machen müsse und nicht anders. So wie es die sozialen Konventionen erwarten. Häufig ist hier die Rede von so genanntem angemessenen Verhalten. Von richtig und falsch statt nützlich/hilfreich und weniger nützlich/weniger hilfreich oder der Perspektive der Integrität.  Was das Ganze mit Blick auf autistische Menschen noch perfider macht, ist das Zusammentreffen mit einem existentiellen Bedürfnis vieler AutistInnen nach allgemeingültigen Regeln, die das Chaos da draussen relativieren und beim Navigieren durch Interaktion helfen können.

Während einer Autismus-Freizeit bin ich 2012 auf einen jungen Mann getroffen, der ein Opfer dieser normativen Außen-Fokussierung geworden war.

Gefühlte 100 mal am Tag aber tatsächlich “nur” etwa 10 mal kam dieser junge Mann an und fragte ohne erkennbaren Anlass: “Ähm, sag mal, hab ich schon wieder etwas falsch gemacht?”

Einfach so. Ich habe dann jedes Mal nach dem konkreten Bezug gefragt und angemerkt, dass es Falsch oder Richtig aus meiner Sicht meist nicht gäbe und mit ihm die konkrete Situation reflektiert, um die es jeweils ging. Dieser junge Mann war derart eingeschüchtert und muss gefühlte 1 Mio. mal gehört haben, dass er in sozialen Situation etwas falsch machte, dass er komplett nach außen fokussiert war im ängstlichen Bemühen, den Erwartungen da draußen, was immer es sein mochte, gerecht zu werden. Erschütternd.

An einem Beispiel, das ich besonders berührend fand, möchte ich nun exemplarisch zeigen, wie ein Kommunikations-Coaching mit Methoden der Gewaltfreien Kommunikation so eine Außenfokussierung auflösen helfen kann.

Eine Teilnehmerin war psychisch extrem instabil und dekompensierte täglich. Die meisten (ausnahmslos autistischen) Camp-TeilnehmerInnen waren sehr besorgt um sie. Der junge Mann kam nun mit einer Idee: Er hatte sich überlegt, man könne doch eine schöne Karte malen für die junge Frau und alle darauf unterschreiben lassen, dass man sich wünscht, dass es ihr bald besserginge und dass sie nicht allein sei. Er wollte nun von mir wissen, ob ich das richtig finde und was ich glaube darauf reagieren würde.

Ich habe ihm erklärt, dass es auch hier aus meiner Sicht kein Richtig und Falsch gäbe, dass wir aber trotzdem gemeinsam rausfinden könnten, ob er es machen soll.

Wir haben also mit der Methode der Gewaltfreien Kommunikation (Die App “Empathie-Navigator” von Al Weckert kam zum Einsatz) zunächst seine innere Motivation erforscht.

  • Wahrnehmung: Dem Mädchen geht es sehr schlecht.
  • Gefühl: traurig
  • Bedürfnis: Unterstützung, Solidarität
  • Bitte an sich selbst: Unterstütze sie!

Was zunächst nicht aufgelöst war, war seine Sorge, ob sie diese Aktion auch als wunderbar empfinden würde. Ich habe ihm erklärt, dass grundsätzlich der Empfänger einer Nachricht bestimmt, wie er etwas findet, egal wie wunderbar die Intention des anderen ist.

Dass die Reaktion daher nicht kontrollierbar sei und er damit rechnen könne, dass sie entweder froh wäre oder auch noch verzweifelter, zumal sie in ihrer derzeitigen Instabilität schon anfänge zu weinen, wenn man ihr anbietet, einen Tee für sie zu machen. Dass ich aber finde, dass es wichtig sei, nach den eigenen Werten zu handeln. Und dass, wenn er sein Mitgefühl und seine Solidarität ausdrücken möchte, weil das sowohl seinen Gefühlen und Bedürfnissen entspricht und seinen Werten, dass es damit aus meiner Sicht integer und in diesem Sinne richtig sei. Hier ganz wichtig: Das Herausstellen dieser Sicht als Meinung, die man nicht teilen muss!

Ich habe ihm also ein werte- und bedürfnisorientiertes Vorgehen angeboten, das auf Integrität/Stimmigkeit fokussiert als Alternativstrategie in der Interaktion des bisher eher wenig hilfreichen Fokus Richtig/Falsch im Außen.

Im Falle sie also abwehrend reagiert hätte, hätte er ein wenig traurig, aber gefasst damit umgehen können.

Gesagt, getan. Der junge Mann entschied sich, es zu wagen.  Er handelte entsprechend seiner Werte und war aufgrund der vorangegangenen Reflektionen nicht auf eine positive Reaktion angewiesen.

Dennoch war es natürlich toll, dass die junge Frau sehr gerührt über diese Anteilnahme war und der junge Mann sehr stolz auf sich.

 

Rezension „Geniale Störung – Die Geheime Geschichte des Autismus und warum wir Menschen brauchen, die anders denken“

Rezension zu „Geniale Störung – Die Geheime Geschichte des Autismus und warum wir Menschen brauchen, die anders denken“, (Originaltitel: „Neurotribes – The Legacy of Autism and the Future of Neurodiversity“, Steve Silberman

Ich gebe es zu; ich habe mit mir gerungen, ob ich empfehlen soll, dieses Buch jedem Fachmenschen und/oder Angehörigen verpflichtend zu verschreiben; inklusive Phantasien darüber, wie ich jeden Einzelnen zu den Kernthemen abfrage, um festzustellen, ob sie es wirklich gelesen haben oder nur darauf gewartet, dass die Inhalte durch ihr Kopfkissen über ihre Haarspitzen in ihr Hirn diffundieren.

Man kann sagen, ich habe einen Mittelweg gefunden, was für meine Glaubwürdigkeit als Verfechterin gewaltfreier Kommunikation, Mediation und selbstbestimmten Lernens sicher zuträglich ist.

Nun zum Inhalt:

Ich kann hier in der Kürze nur umreißen, was Steve Silberman mit diesem Monumentalwerk geleistet hat.

Dieses Buch hat mich tief berührt und abwechselnd tieftraurig gemacht, schockiert und stückweise geradezu paralysiert.

Silberman beginnt mit der exemplarischen Lebensgeschichte eines der bedeutendsten Wissenschaftlers und Entdeckers des 18. Jahrhunderts, Henry Cavendish, der sein Leben lang in seine Messungen, Entdeckungen und Forschungen abgetaucht war und berüchtigt für sein schroffes, exzentrisches Verhalten. Ein Genie, das sich mit nichts anderem als seinen Leidenschaften beschäftigte. Seine Zeitgenossen rätselten, was es mit seinem außergewöhnlichen Verhalten auf sich hatte und beschrieben ihn unter anderem als „beinahe krankhaft schüchtern und verlegen“.  Ganz wesentlich finde ich die Feststellung, dass Cavendishs großes Glück darin lag, aus einer wohlhabenden Familie zu stammen und sich seine ganz private Welt schaffen zu können, einen quasi autistischen Raum, wie es später heißt, so dass er nicht wie damals üblich als Abweichler in einer Irrenanstalt gelandet ist, wo man damals „in sich gekehrte“ Patienten behandelt hat, sondern die Welt verändernde Erfindungen machen konnte.

Die überragende Leistung Silbermans liegt auch in der akribischen historischen Aufarbeitung der Geschichte des Autismus und der „Neu“-Entdeckung Hans Aspergers als dem (von Leo Kanner geflissentlich ignorierten) Urvater der Betrachtung von Autismus als Kontinuum, als Spektrum. Und der Beschreibung autistischer Kinder als „kleine Professoren“ und zwar nicht, wie sie heute mit der (schon immer obsolet gewesenen) Unterscheidung in Kanner/frühkindliche Autisten und Asperger-Autisten als niedrigfunktionale versus hochfunktionale immer noch vorherrscht, sondern als früheste Stärken-Perspektive, als Potential-Blick für autistische Intelligenz und zwar ganz unabhängig davon, ob derjenige sprach und typisch „aspergisch“ erschien oder scheinbar sinnlos, wie es später diskriminierend beschrieben wurde und sogar heute noch im pathologischen Blick immer noch wird, Formen ordnete.

Asperger sah im scheinbar sinnlos repetitiven Anordnen frühe Anzeichen für spätere Berufe z.B. als Physiker. „Sie schlossen nicht aus, dass ein Junge, den in Sand gezeichnete Dreiecke faszinierten, eines Tages Professor für Astronomie werden könnte.“ Die Kinder auf der heilpädagogischen Station wurden in ihrer Andersartigkeit, geachtet, wertgeschätzt und gefördert. Insbesondere Lazars Betonung, dass Einrichtungen dieser Art nicht zu klein sein dürften, damit jedes Kind einen ganz ähnlichen Kameraden finden könne, zeigt schon eine Fortschrittlichkeit in Richtung Peer Support, die selbst heute noch kaum Beachtung findet.

Was mich besonders geschockt hat, war, wie es dazu gekommen ist, dass bis heute die meisten Menschen glauben, Asperger hätte nur „hochfunktionale“ Kinder im Blick gehabt und gefördert. Der Stamm seiner „kleinen Professoren“ umfasste die gesamte Bandbreite des Spektrums.  Er hat die Hochfunktionalität später hervorgehoben, um seine kleinen Patienten vor dem Vernichtungsprogramm der Nazis zu schützen. (Nachtrag 2018: Offensichtlich ist dieses Beschützen ein Mythos gewesen. Die Beweise, dass auch Asperger „seine“ Patienten, den Nazis ausgeliefert hat, sind überwältigend überzeugend und erschütternd: https://www.theguardian.com/world/2018/apr/19/hans-asperger-aided-and-supported-nazi-programme-study-says ).

Leo Kanner, der später in den USA beinahe zeitgleich den „Autismus entdeckte“, hatte offensichtlich die Doktorarbeit von Asperger zur Kenntnis genommen, sie aber nicht weiter erwähnt, so dass sie in den USA nie wirklich bekannt wurde und stattdessen Kanner selbst, der eigentlich einen Doktor in Kunstgeschichte hatte, diesen flugs in Psychologie umerfand und mit der Beschreibung von Autismus als seltener Störung eine Entwicklung begründete, die zu einer tragischen Stigmatisierung, Misshandlung und Verhinderung von Leben geführt hat, unter der noch heute Tausende AutistInnen weltweit leiden.

Kanner sah im Anordnen von Gegenständen vor allem die Abweichung im sozialen Kontakt, die er zeitlebens als krankhaft beschrieb und begründete damit zum einen das Pathologie-Paradigma (Autismus als eine Art Kindheitspsychose, eine Art pathologische Manie) und zum anderen den Mythos, dass Autismus selten sei.

Die Entwicklung in den USA, in der das Aufkommen der Psychoanalyse dazu führte, dass man dazu überging, Autismus als eine frühe Störung anzusehen, die von „Kühlschrankmüttern“ ausgelöst wurde, hat unzähligen Menschen weiteres Leid gebracht und den Fokus sowohl auf Ursachenforschung als auch auf Heilung gelenkt, was bis heute verhindert, dass genug Forschungsgelder in die Entwicklung von Dienstleistungen und Unterstützungssystemen gesteckt werden.

Das Kapitel über ABA (Applied Behavior Analysis) oder deutsch AVA (Angewandte Verhaltensanalyse) hat mir das Herz gebrochen.

Die Beschreibung der Foltermethoden des Begründers der ABA „Therapie“, Ivar Lovaas, ist aus vielerlei Gründen unerträglich. Hier nur eine kurze Skizze: Man nahm an, autistische Menschen seien keine menschlichen Wesen bzw. Wesen, die in einer autistischen Schale feststeckten und man müsse sie mit einer Mischung aus Methoden der Tierkonditionierung und Schwulen-Umerziehung zu normalen, nämlich nicht-autistischen Menschen konditionieren. Musik/Lärm-Folter und schwere Elektroschocks in Verbindung mit psychischer Gewalt in Form von Aufforderungen zu „Sozialem Verhalten“ wie Umarmungen. Lächeln, Blickkontakt und Küsschen geben rundeten das menschenverachtende „Therapieangebot“ ab.

Ganz besonders perfide: Stress-Reduktions-Kompetenz wie selbststimulierendes Verhalten (Drehen, Händeflattern, Laute etc.) wurden als sinnlos diffamiert und mittels Bestrafung abtrainiert, was heute noch Auswirkungen auf den Umgang und die Bewertung autistischer Stressreduktion ist, was ich noch im Jahr 2016 geschockt auf einer Veranstaltung in Wien beobachten konnte, auf der eine Mutter versucht hat, ihrem Sohn die „Lauten Hände“ zu verbieten mit dem Erfolg, dass er dann dazu überging, seine Nase an ihrem Busen zu reiben, was ihr dann aber auch nicht recht war.

Spannend ist auch die Geschichte der Elternbewegung und der Geschichte des Entstehens der Selbstvertretungs-Community mit Sinclair und später Ari Ne`eman als Mitbegründer des politischen Selbstvertretungsnetzwerks ASAN.

Der Beginn der Selbstvertretungen und der damit einhergehenden Selbstbeschreibungen außerhalb der vorherrschenden defizitären, diffamierenden, pathologischen Sichtweise nicht-autistischer „Fachleute“ und damit verknüpft des bewussten Schaffens sicherer autistischer Räume von und für autistische Menschen hat für die größte Minderheit der Welt Räume eröffnet, in dem das Sich selbst Erleben in Würde und Sicherheit und der Zugehörigkeit zu einem eigenen Stamm mindestens so gut scheint wie die ursprünglich angedachte Lösung, sich irgendwann einfach vom Raumschiff nach Hause bringen zu lassen.

Und das ist das, was hängenbleibt in der Essenz: Die Würdigung autistischer Menschen als eigenem Stamm, als neurodivergentem Teil der Menschheit, der unbedingt gebraucht wird und schon immer gebraucht wurde in der Welt.

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs Teil 2

Reflektionen zu autistischer Kommunikation Teil 2

 

2.1 Autistische Kommunikation- Ein kommunikations-psychologischer Exkurs
(Ausschnitt aus meiner Mediationsabschlussarbeit “Mediationsbasierte Kommunikations-Settings für autistische Erwachsene 2014, Punkt 3)

Fünf Axiome menschlicher Kommunikation und deren Bedeutung für die Annahme, Störungsphänomene im Bereich Autismus als Systemkonflikte zu benennen (und damit als kulturelle Konflikte zu definieren)

Paul Watzlawick, einer der berühmtesten Kommunikationswissenschaftler und Philosophen unserer Zeit, hat uns neben zahlreichen Erkenntnislandschaften die fünf Axiome menschlicher Kommunikation hinterlassen.

Also nicht weiter zu beweisende Grundannahmen darüber, wie die Logik menschlicher Kommunikation als grundlegende Ordnung funktioniert.

Als übergeordnete Denkprinzipien für alle Normen, die Menschen darauf aufbauend im Bereich Kommunikation auch setzen mögen.

Da diese Axiome den Menschen weitestgehend unbewusst sind, außer denen vielleicht, die sich professionell, aus Leidenschaft oder Not damit befassen, ergibt sich hier schon der erste Aspekt, wieso es so schwierig ist, greifbare Angebote im Bereich Kommunikation für autistische Menschen zu machen.

Zu wenig verstanden scheinen die Eckpfeiler der jeweiligen Funktionsweisen, wenn es um Kommunikation geht.

Viel wäre gewonnen, wenn es möglich wäre, mit einem einfachen, bekannten Modell die Unterschiedlichkeit der autistischen Kommunikation auf einen Kern zu fokussieren.

Versuchen wir das mal. ☺

Die erste Annahme Paul Watzlawicks, das erste Axiom, lautet:

„Man kann nicht nicht kommunizieren.”

Damit ist gemeint, dass unter der Voraussetzung, dass jedes Verhalten Kommunikation ist und man sich nicht nicht verhalten kann, man wahrscheinlich nicht nicht kommunizieren kann.

Dieses Axiom hat mich schwer zum Grübeln gebracht. Unterstellt das Axiom ja auch, dass jede Kommunikation eine Intention hat: Dass es quasi kein Verhalten gäbe, das nur auf sich selbst bezogen sei bzw. nicht unbewusst oder bewusst die Nicht-Kommunikation kommuniziert.

Das Beispiel von der Frau, die auf den Boden des Wartezimmers starrt, könnte ja auch bloßes Sein ausdrücken als dass es ausdrückt, dass sie keinen Kontakt wünscht. Sein in einem Schwebemodus, wo weder Kommunikation stattfindet, noch dass sie stattfindet. Quasi eine Art Katzenzustand (siehe Schrödingers Katze).

Oder ein Sortierprozess, in dem Informationen, die sich gequetscht und gestaut haben, nachsortiert werden, so dass letztlich alle Kapazitäten in diesen Sortierprozess gehen (diese Überlegung basiert auf dem Wissen darüber, das AutistInnen durch fehlende Wahrnehmungsfilter im Gehirn ständig einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt sind, die oft für Überlastung sorgen).

Da wir aber ja auch wissen, dass immer der Empfänger bestimmt, wie eine Nachricht verstanden wird, ist die Intention obsolet. Die Nicht-Nachricht wird ggf. als Nachricht wahrgenommen und in o.g Beispiel als Vielleicht Unhöflichkeit wahrgenommen.

Hier scheint mir die Fähigkeit und das Bewusstsein darüber, sich gegen feindselige Projektionen vergleichgültigen und/oder wehren zu können, äußerst wichtig.

Das nur am Rand. 🙂

Viel entscheidender für meine Überlegungen sind das zweite Axiom und das vierte (sie bedingen einander).

Das zweite Axiom lautet:

„Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“

Das vierte Axiom lautet:

„Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten.“

Hier wird es interessant. Denn laut Watzlawick hat der Beziehungsaspekt Vorrang vor dem Inhaltsaspekt. Oder anders ausgedrückt: Beziehung ermöglicht Inhalt.

Nun ist es offensichtlich so, dass autistische Kommunikation es genau anders herum handhabt. Hier hat der Inhaltsaspekt Vorrang vor dem Beziehungsaspekt. Oder anders ausgedrückt: Inhalt ermöglicht Beziehung.

Außerdem verwenden autistische Menschen Sprache vorrangig funktional; oder anders ausgedrückt. Sie bedienen sich vor allem digitaler Modalitäten.

Das, was ich sage, vor dem wie ich wirke.

Analoge Kommunikation wie z.B. Körpersprache, somatische Marker wie dramatisches Ein-oder Ausatmen, pochende Halsschlagadern, Mimik und Gestik haben für sie eine untergeordnete/andere Stellung. Hier kann man ein ziemlich breites Spektrum beobachten von Autisten, die quasi gar keine analoge Kommunikation sehen oder dechiffrieren können bis hin zu welchen, die es zu außerordentlichen Leistungen auf diesem Gebiet bringen.

Einer meiner Kollegen in der Schweiz beispielsweise sieht keine Gesichter. Er orientiert sich an den Stimmen der Menschen. Da können sie zehnmal die Augenbraue heben; er wird es nicht würdigen.

Ich vermute, dass die Vorliebe für digitale Modalitäten darin liegt, dass diese eindeutig sind und  nicht so viele Reize mit anspülen. Einer der Gründe, warum autistische Menschen häufig keinen Blickkontakt anwenden.

Aufgrund der Filterlosigkeit autistischer Gehirne kommt es zum einen zu Verzögerungen in Wahrnehmung und Verarbeitung, zum anderen entsteht in einer Welt voll Lärm, Gleichzeitigkeit und hohen sozialen Erwartungen schnell ein hoher Stresslevel.

Stressmanagement ist dann neben beruflichen und privaten Themen ein häufiger Beratungsanlass. Autistische Menschen sind drängender und ungleich intensiver als Nicht-AutistInnen mit der Notwendigkeit effektiven Zustandsmanagements konfrontiert, denn „sie sind ähnlich wie ManagerInnen und SpitzensportlerInnen auf dem Sektor des Stresslevels vergleichbar mit eben diesen ´HighperformerInnen´“ (Schramm 2013).

Da analoge Kommunikation weitestgehend dem Beziehungsaspekt  zugeordnet wird und wir gelernt haben, dass üblicherweise bei nicht- autistischen Menschen dieser vor der Inhaltsebene steht, verwundert es noch weniger, wieso im Aufeinandertreffen der beiden Kulturen spontane Missverständnisse die Regel sind.

Handlungen machen nur in einem entsprechenden Kontext Sinn.

Wenn die als selbstverständlich gesetzten Kontextordnungen so grundlegend unterschiedlich sind, macht es nur wieder Sinn, was der Andere tut, wenn er wahrscheinlich gestört ist oder womöglich einfach unhöflich. Was manch einer dann auch möglicherweise von seinem autistischen Gegenüber zunächst annimmt.

Es sei denn, man kennt den Kontext. Dann hat man wieder einen zusammen passenden Ordnungsrahmen; auch, wenn es nicht der eigene ist.

So machen dann auch für AutistInnen so seltsam und zunächst sinnlos erscheinendes Small Talk Verhalten nicht-autistischer Menschen Sinn. Sie stellen erst die Beziehung her und dann reden sie über Dinge. Dass es hier nur scheinbar um Inhalte wie das Wetter geht, ist besonders irreführend, da man hier zunächst vermuten könnte, dass es tatsächlich um das Wetter geht. Tatsächlich ist das Thema aber die Beziehung bzw. eine bestimmt Art, einen Abgleich über Status, Ähnlichkeit, Zugehörigkeit vorzunehmen (Ausnahmen bestätigen die Regel wie immer).

Ein autistischer Mensch kann mit diesem Zugang zu anderen Menschen meist nichts anfangen und steht im Zweifel stumm wartend da, bis vielleicht Inhalt kommt. Wenn er auf einen solchen dann eingeht, ist seine Umgebung meist verwirrt, weil seine Beteiligung unangemessen scheint.

Er hat die Beziehungsebene vorher nicht hergestellt.

Betrachten wir einen Aspekt analoger Kommunikation einmal genauer:

Den Blickkontakt.

Blickkontakt gilt in westlichen Gesellschaften immer noch als ein Indikator für Zugewandtheit und Interesse. Für autistische Menschen jedoch ist Blickkontakt häufig eine Überfrachtung ihres Informationszentrums. Hier gilt es nämlich, die  Informationen des Gesagten gleichzeitig mit den Informationen des Gesichts aufzunehmen.

Autistische Menschen finden es häufig schwierig, verschiedene Informationen gleichzeitig aufzunehmen. Dazu kommt, dass die Informationen des Gesagten mit der Mimik des Sprechers nicht immer übereinstimmen muss, so dass diese Inkongruenz allein schon zu einer Verwirrung führt, insbesondere dann auch, wenn die Mimik auch so nicht unbedingt alleine lesbar wäre.

Ganz davon zu schweigen, dass ja auch im Tonfall noch Informationen/Gefühle enthalten sind, die ggf. die wahrgenommenen  Inkongruenzen weiter verstärken und zu noch mehr Überforderung führen.

Das temporäre oder gar dauernde Wegschauen heißt hier also vor allem: Ich konzentriere mich auf das, was du sagst. Ich bin ganz bei dir.

Bei nicht-autistischen Menschen kommt das Wegschauen allerdings je nach Neurosengrad als Irritation zumindest an, denn hier ist kein intuitiver Abgleich von Beziehung mit den gewohnten Mitteln möglich. Blickkontakt ist eine Möglichkeit von nicht-autistischen Menschen sich sozial sicher zu fühlen bzw. sich mit dem anderen sozial abzugleichen und einander das OK zu vermitteln. Hier findet also im Kontakt häufig eine tiefgreifende Verunsicherung statt, die viele NT´s als innere Abwehr wahrnehmen.

Ein weiteres analoges Kommunikationsmittel ist die sogenannte Körpersprache.

Die Körperhaltung ist ein sogenannter somatischer Marker für die innere Haltung (sich selbst und dem anderen gegenüber) und Ausdruck von Gefühlen.

Auch hier gibt es häufig Abweichungen, die für Irritationen Anlass sein kann.

Auf die Spitze getrieben ist dieses Problem für (“frühkindliche”) nichtsprechende  AutistInnen, die im beobachtbaren Verhalten häufig keinerlei Reaktion auf Gehörtes zeigen, offensichtlich mit etwas anderem beschäftigt und zudem noch mit weiteren irritierenden Dingen wie nicht konsensfähigem Verhalten wie abwesend Wippen und dabei zählen oder ähnlichem und womöglich mit wenig oder extremer Körperspannung auffallen.

Hier lernen selbst andere Autisten oder reflektierte Profis noch dazu, wie Douglas Biklen in seinem Buch „Autism and the myth of the person alone“ eindrucksvoll beschreibt, wie eine der ProtagonistInnen des Buchs, Lucy Blackman,  anscheinend teilnahmslos gegenüber seinen Fragen und Annäherungen war, bis sie ihn nach 2 Tagen mit einer reflektierten Äußerung zu seinen Fragestellungen überraschte, die offenbarten, wie sehr sie zugehört hatte und wie sehr sie auch reflektiert hatte, wie es ihm dabei gehen müsste.  Sie zeigte mit ihrer Antwort also Empathie und Kognitive Komplexe Fähigkeiten. Was aus ihrer Körperhaltung und ihrem Verhalten nicht im mindesten ersichtbar war.

Dies ist quasi das äußere Ende abweichenden Kommunikationsverhaltens.

Hier wird also nochmal deutlich, wie sich die Wahrnehmungslogiken der beiden Kommunikations-Kulturen unterscheiden.

Was in der einen neutral bis positiv besetzt ist, ist in der anderen als negativ besetzt; als ein Zeichen mangelnder Wertschätzung oder mangelnden mentalen Vermögens.

Soll also Kommunikation wechselseitig gelingen, wobei wir Gelingen hier als ein wohlwollendes Annähern an die jeweils andere Kultur/Welt des anderen verstehen, dann gilt es, die Besonderheiten des Partners zu einem gewissen Grad kennen zu lernen. Damit kann man zwei Ziele erreichen.

Zum einen eine erleichterte Interaktion, zum anderen aber auch einen tieferen Grad von Selbsterkenntnis oder Selbstexpertise, was für den nicht-autistischen Part zumindest spannend, für den autistischen Part mindestens aber überlebenswichtig sein dürfte (was soziale Situationen betrifft). Die Rückschlüsse auf der Beziehungsebene in der Interaktionsbeobachtung autistischer Menschen müssen also fast zwangsläufig in die Irre führen, denn sie beruhen auf völlig unterschiedlichen Ausgangs-Logiken. Unter den soeben erörterten Bedingungen sind sie dennoch plausibel. Sozusagen angemessen.

Abweichungen vom Konsens guter Kommunikation führen fast schon zwangsläufig zu Konflikten, so sie nicht auf der Meta-Ebene reflektiert werden. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass es hilfreich sein müsste, hier gegenseitig Aufklärung über die unterschiedlichen Dispositionen zu leisten.

Wenn wir annehmen, dass wir im Bereich Autismus von sozusagen unterschiedlichen Kulturen sprechen, dann können wir mit Gerhard Schwarz auch schlussfolgern, dass die Störungsphänomene hier auf einen Systemkonflikt hindeuten.

Denn „Interkulturelle Konflikte sind oft Systemkonflikte, deren Lösung voraussetzt, dass die zugrundeliegenden Denklogiken reflektiert und die jeweiligen Grundwerte erklärt werden. Erst das wechselseitige Anerkennen dieser Axiome ermöglicht ein gemeinsames Verständnis unterschiedlicher Standpunkte und dann gemeinsames Handeln.“ [2]

Oder anders ausgedrückt: „Der Mensch einer anderen Kultur kann nur dann ganzheitlich erfasst werden, wenn seine Denkprinzipien miteinbezogen werden. Dies gelingt in der Praxis im Allgemeinen nur durch Einführen einer Metaebene, auf der die Hintergründe des Konfliktes gemeinsam analysiert werden können. Erst der dadurch erreichte gemeinsame Lernprozess ermöglicht es, eine Lösung des jeweiligen Konfliktes zu finden.“ [3]

Meist wird im Bereich Autismus auf der Ebene der Verhaltensregeln diskutiert, ohne die darüber liegenden Denk- und Wahrnehmungsprinzipien zum Thema zu machen. Die meisten Menschen, die sich nicht explizit mit Kommunikationspsychologie befassen, haben kein Bewusstsein darüber, dass die Selbstverständlichkeit, mit der sie Wahrnehmung und Bedeutung in ihrer Welt als gegeben und als Einheit betrachten, dazu beiträgt, dass sie den anderen im Grunde nicht als Unterschiedlichen wahrnehmen, dessen Perspektive ebenso wertvoll ist wie seine eigene.

 Nur in der Störung der Kommunikation wird das schmerzlich deutlich.

 

 

 

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs Teil 1

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs

Überarbeitete Fassung Mediations-Abschlussarbeit zur international zertifizierten Mediatorin für Wirtschaft und Arbeit 2014, Titel: “Mediationsbasierte Gesprächssettings für autistische Erwachsene”

Autistische Menschen im Spannungsfeld individuellen Ringens um Identität und Teilhabe

Möglicherweise gibt es kein Phänomen, das so komplex und so mystifiziert ist wie das Phänomen Autismus.

Es existieren zahlreiche Versuche, Autismus zu kategorisieren, zu klassifizieren. Versuche, den Kern, das Wesen der autistischen Disposition zu erfassen.

Dies ist insofern denkbar schwierig, weil die anerkannten Definitionen von Autismus als tiefgreifender Entwicklungsstörung mit Defiziten in Empathie und Interaktion aus meiner Sicht zum einen einfach stigmatisierend und diskriminierend sind, zum anderen auch nicht abbilden, was man vorfindet, wenn man in die autistische Community eintaucht. Die Heterogenität ist geradezu frappierend, wenn man überlegt, wie sehr in den Medien und auch z.B. noch in den Köpfen der medizinischen Fachwelt das Bild des männlichen, technikaffinen, introvertierten Nerds vorherrscht, der keinen Kontakt mit Menschen will und hauptsächlich gerne Dinge sortiert. Wenn er nicht gerade Telefonbücher neu katalogisiert.

Woran im Übrigen seine eiskalte Mutter schuld sein soll, einer verrückten Minderheit zufolge. 😉

Die Realität ist bunt. Da gibt es den geradezu umwerfend charismatischen Physiker, der zu seiner Erbauung Improvisations-Theater macht, den mutistischen (nicht-sprechenden) IT-Nerd, der die wenigen Worte, die er spricht, wenn er dazu genötigt wird, mit keinerlei emotionalem Ausdruck kombiniert, dessen Gedanken und Gefühlswelt aber angefüllt sind mit empathischen Überlegungen über die Welt und was sie besser machen könnte, die introvertierte Maschinenbauerin, die in ihrer Freizeit leidenschaftlich Klarinette in einem Orchester spielt und so weiter und so weiter.

So unterschiedlich autistische Menschen sind; es eint sie das Erleben von zeitweiligen oder dauerhaften Problemen von Überlastung und Überforderung in der Interaktion mit anderen (nicht-autistischen) Menschen und dementsprechend einer Teilhabe im Bereich Arbeit, Wohnen, Freizeit, Soziale Kontakte und Partnerschaft.

Wie kann man aber Autismus als Abweichung beschreiben, wenn nicht in den üblichen, ausgedienten, überholten medizinisch-defizitären Zuweisungen?

Und zwar so, dass hilfreiche und nützliche Schlussfolgerunen für die Unterstützung von selbstbestimmten Leben denkbar werden?

Einen Augenblick, liebeR LeserIn, ich muss nur noch kurz die Antwort auf das Universum und den ganzen Rest finden, dann komm ich auf die Frage zurück.

So, da bin ich wieder. Nun zu ihrer Frage. Oder war es meine? Egal. Sie verdient eine Antwort.

Abstrahiert man mal alle Individualität und Unterschiedlichkeit autistischer Persönlichkeiten, so bleibt ein Aspekt, der alle eint.

Eine von der Normalbevölkerung ganz offensichtlich erheblich abweichende Art, mit anderen Menschen zu interagieren.

Wie kann man nun autistische Kommunikation beschreiben?

Auf der beobachtbaren Ebene nehmen Autisten Sprache oft wörtlich, Scheinen lernresistent gegenüber dem Erfassen sozialer Situationen und gesellschaftlichen Konventionen; sagen, was sie denken und scheinen keine Dechriffiereinheit zu haben, die Körpersprache, Mimik usw. entschlüsselt. Was aber viel gravierender ist: Es scheint ganz vielen nicht zu gelingen, mit anderen in einen intuitiven Abgleich zu geraten über die Beziehungsebene. Wieso AutistInnen mit anderen einfach nicht in Kontakt kommen, ist aus meiner Sicht die Kernfrage hier.

Denn dieses Problem generiert vielfach einen Leidensweg, der schon in der Schule anfängt. Denn wenn ich zu Gleichaltrigen keinen Kontakt herstellen kann und die nicht zu mir, dann bleibe ich stecken in Isolation.

Die vielfach beschriebene Entwicklungsstörung hat hier ihren Ursprung. Nicht in der Disposition selbst, wie ich meine, sondern in der fehlenden Möglichkeit mit anderen Menschen zu lernen.

Durch die sozialen Barrieren entwickelt sich also nach und nach eine Entwicklungsstörung, die häufig darin gipfelt, dass jemand quasi nicht sozialisiert ist und außerhalb seines familiären Umfeldes kaum Möglichkeit hatte, soziale Kompetenzen zu entwickeln.

Dass dies dann im Erwachsenenalter Schwierigkeiten bei Partnerwahl und Jobsuche generiert, ist geradezu folgerichtig.

Jemand, der schon mit der Frage ringt, ob er den Nachbarn nach 2 Jahren mal grüßen soll oder nicht, wird nicht gerade tiefenentspannt flirten können oder selbstbewusst in ein Jobgespräch gehen können.

Eigenständiges Wohnen und Arbeit sind neben anderen Bereichen wie Soziale Kontakte, Partnerschaft und ähnlichem existentielle Parameter erwachsenen Lebens.

So überrascht es denn auch nicht, dass etwa 50 % autistischer Erwachsene bis zum 45. Lebensjahr noch bei ihren Eltern leben und nur 20 % der als Asperger-AutistInnen gelabelten Menschen auf dem 1. Arbeitsmarkt und der große Rest arbeitslos ist oder in Werkstätten beschäftigt ist.

 

 

  1. Autistische Kommunikation in barrierefreien Räumen

Wie schon in Teil 1 erläutert, wird Autistische Kommunikation vom Mainstream der Fachwelt, Medien, Angehörigen und auch teilweise AutistInnen als defizitäre, entwicklungsgestörte Interaktion beschrieben mit Defiziten in Mimik-,Gestik- und Emotionserkennung und allgemeiner mangelnder Empathiefähigkeit.

Behinderung wird hier vornehmlich medizinisch definiert mit gravierenden Auswirkungen auf Selbstwertgefühl und Selbstverständnis autistischer Menschen. In Verbindung mit häufig erlebten sozialem Scheitern und Unterstützungsangeboten, die vor allem auf Normalisierung des Verhaltens abzielen, ergibt sich für eine große Zahl autistischer Menschen eine Art Einbahnstraße in Bezug auf Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein.

Ermutigende Ansätze, sich die Welt auf eigene Art, nämlich auf autistische, zu erschließen, werden dringend gebraucht.

VertreterInnen der Neurodiversität (Autismus als Variante unterschiedlicher neuronaler Disposition)  wie ich verstehen unter autistischer Kommunikation eine von der Norm abweichende Art der Kommunikation, die sich im Wesentlich darin auszeichnet, besonders unverstellt von sozialen Erwartungen das auszudrücken, was gerade ist. Und das unabhängig von sozialen Kontexten und möglichen Erwartungen von anderen.

Was unterscheidet denn nun autistische Kommunikation von nicht-autistischer unter kommunikationspsychlogischer Perspektive wenn sie nicht durch Defizite definiert wird?

Wie funktioniert autistische Kommunikation in barrierefreien Räumen?

In der Kommunikation unter AutistInnen kommt es auch zu Konflikten/Missverständnissen, schließlich ist diese Gruppe ebenso heterogen wie nicht-autistische, aber der soziale Abgleich/die Art der Interaktion scheint einen intuitiveren Zugang mit weniger grundsätzlicher Irritation zu erlauben.

Oder vereinfacht ausgedrückt. Die Krise ist hier nicht Programm.

Einer der ersten Autismus-Experten im deutschsprachigen Raum, der über autistische Kommunikation erhellende Erkenntnisse veröffentlich hat, ist Hajo Seng; autistischer Aktivist und Mitbegründer von autworker, Hamburg. Einem Unternehmen, das die Lebensbedingungen autistischer Menschen mit Öffentlichkeitsarbeit, Vorträgen und individuellen Angeboten verbessern hilft. Und das mit etwa 90 % autistischen MitarbeiterInnen.

Er schreibt in der Broschüre zum wichtigsten Peer-Angebot des Unternehmens, dem sogenannten Fähigkeiten-Workshop, über die Vorteile dieser Veranstaltungen nur unter Autisten:

„Durch den unmittelbaren und direkten Zugriff auf das eigene Unbewusste haben autistische Menschen extrem mächtige Selbstbefähigungspotentiale.

Diese Potentiale können sich in autistischen Gruppensituationen entfalten, wo sie aufeinander treffen und miteinander kommunizieren.

Dafür ist ein geschützter Rahmen erforderlich, der das Funktionieren autistischer Kommunikationsmechanismen garantiert.

In einem solchen Rahmen funktionieren die Gruppen wie Balintgruppen; die Behinderung durch ein nicht-autistisches Umfeld ist hier temporär aufgehoben.“

Diese Beobachtungen sind ein deutlicher Hinweis dafür, Kommunikationsprobleme autistischer Menschen quasi als wechselseitiges Problem zu betrachten und damit als Manifestation einer sozialen Behinderung, die nur in nicht- autistischen Kontexten zum Problem wird.

Oder um es mit Herrn Prof Arist von Schlippe auszudrücken: „Es gibt nur Fähigkeiten. Probleme entstehen manchmal, wenn Kontext und Fähigkeit nicht optimal zueinander passen.“[1]

Ganz offensichtlich passt der Kontext „Nicht-autistische Welt“ nicht optimal zu den Fähigkeiten autistischer Menschen.

Da autistische Menschen in einer Mehrheitsgesellschaft von nicht-autistischen Menschen leben, ist es geradezu lebenswichtig, Grundsätzliches zur Kommunikationswelt der anderen zu lernen , denn die Anderen sind der übergreifende Kontext, in dem man mit seinen Fähigkeiten zurecht kommen muss.

Ein Kontext, der im Erleben autistischer Menschen einer völlig unterschiedlichen Kultur mit unbekannten Regeln gleicht.

Das Finden von barrierefreien Nischen innerhalb der eigenen Kultur wie z.B. Aspie- und Autie Gruppen im Netz und auch lokal sind daneben nach wie vor enorm wichtig und stärken durch das Wegfallen der Kommunikations-Barrieren Selbstbewusstsein und Soziale Identität auf eine besonders nachhaltige Weise.

Eine der vielen Auswirkungen von Peer Kontakt im Autismus-Spektrum ist also ein Erleben von Akzeptanz und Wertschätzung.

Im Peer Support ist zudem die Reflektion und der Austausch über verschiedene Wege und Strategien, sich in der Welt zurechtzufinden möglich.

[1] Hajo Seng: Broschüre „Fähigkeiten-Workshop“, autWorker

Peergespräche: Wie Spätdiagnostizierte um ihre Identität ringen

16.06.2012

Auswirkungen veralteter Beschreibungen und Mythen zu Autismus

Wie Spätdiagnostizierte um ihre Identität ringen

Eines schönen Tages erreichte mich die Anfrage einer (mittlerweile offiziell diagnostizierten) Verdachtsautistin aus Dänemark.

Ihre Fragen und Zweifel und Verwirrung sind exemplarisch für viele andere autistische Menschen, die erst in ihrem Erwachsenenleben beginnen, auf die Spur ihrer Identität zu kommen, nachdem sie ein ganzes Leben häufig vergeblich darum gerungen haben, sich zugehörig zu fühlen.

Deutlich wird auch, wie viele der Annahmen das Kompetenz-Erleben korrumpieren, so dass es zu solch herzzerreißenden Sätzen kommt wie „Ich kann eigentlich nichts richtig“. Wobei diese Art von Selbstzweifel und vernichtender/defizitärer Selbstbeschreibung allgemein in unserer Kultur häufiger vorkommt, als es hinnehmbar sein könnte. Aber das nur am Rande.

Ich habe ihre Liste so, wie sie bei mir angekommen ist mit ihrer Erlaubnis nun mit meinen damaligen Antworten aufgearbeitet.

Sie hat ihre Liste „C´s Aspie/NT Liste“ genannt. Eigenschaften, die sie als autistisch verortet hatte und Eigenschaften, die sie als neurotypisch verordnet hatte und Eigenschaften, die sie mit einem Fragezeichen versehen hat.

Es war nie die Idee, dass ich eine Diagnostik ersetzen sollte (frei nach dem Motto „die Nicht-Ärztin, der die Nicht-Patienten völlig zurecht nicht vertrauen“), sondern es sollte nur ein schnelles Peer Feedback sein. Manches ist unkommentiert. Meine Kommentare sind gekennzeichnet.

Eh voila.

Aspie: Meine Art zu Denken: Ich denke in ungeordneten Andeutungen von Eindrücken und Gefühlen, die ich mir anschließend in Gedanken als Monologe in meinem Kopf selber erkläre.

NT: Ich kann mich leicht in andere versetzen und finde sämtliche Aspekte menschlichen Verhaltens (auch die abnormalen) nachvollziehbar

Mein Kommentar: Dass Autisten keine Empathie haben, ist nach unserer Meinung überholt; im Gegenteil: Autisten machen sich oft einen enormen Kopf, was mit anderen los ist etc. Sie können oft nur nicht so schnell intuitiv Zusammenhänge während Interaktionen herstellen.

Aspie: Ich nehme meine Gefühle meistens erst dann wahr, wenn sie ein weit über der Norm liegendes Niveau erreicht haben und damit schwer für mich zu händeln sind

Mein Kommentar: Ja, das ist typisch; verzögerte Wahrnehmung von sich selbst und (manchmal) anderen

Aspie: Ich verstehe die Welt erst dann, wenn ich sie mir selber erkläre. Andere meinen, dass ich viele Regeln habe, nach denen ich lebe, aber ich stelle einfach nur fest, was der für mich die beste Art ist, bestimmte Dinge zu tun

Mein Kommentar: Ja, Regeln sind gut, und sich die Chaos-Welt erklären hilfreich.   

NT: Ich kann durchaus laufend korrigieren, welche Art etwas zu tun die momentan richtige für mich ist, ich kann spontan von meinen Regeln abweichen und neue Regeln aufstellen.

Mein Kommentar: Nicht jeder Autist ist gleich unflexibel. Guck Dir Lars an; da ist Korrektur quasi die Regel. (Nachtrag: AutistInnen, die eine Gewohnheit entwickeln, in bestimmten Strukturen laufend Anpassungen vorzunehmen wie es z.B. in agilen Arbeitsumgebungen der Fall ist, werden besonders „flexibel“. Muster: Inspect and adapt.)

Aspie: Neue Menschen sind mir unbehaglich, ich sehe ihnen ungerne in die Augen und mir ist Händeschütteln auch unangenehm. Ich weiß oft nicht genau, welches Verhalten von mir erwartet wird.

Mein Kommentar: Typisch.  Nur der Grund für den mangelnden Blickkontakt kennen viele nicht; es ist kein irgendwie „Menschen unangenehm finden“, sondern eine visuelle Reizüberflutung für Autisten. So wie Körperkontakt. Es sind auch oft schlicht zu viele sensorische Reize.

Aspie: Ich kann nicht selber entscheiden, ob ich mit Menschen klarkomme oder nicht. Mit manchen läuft das sprechen wie von selber, mit anderen nicht, und das ist nicht mal ein Zeichen meiner Sympathie.

Aspie: Ich kann nicht smalltalken und hasse oberflächliche Gespreche.

NT: Ich habe ein grosses Zugehörigkeitsbedürfnis und würde mich am liebsten einer Gruppe zugehörig fühlen

Mein Kommentar: Das geht auch vielen Autisten so. Ich z.B. bin so froh, endlich meine Peer Group gefunden zu haben, in der ich mich völlig normal fühle. Menschen, in denen ich mich spiegeln kann.

Aspie: Ich fühle mich keiner Gruppe zugehörig, auch wenn Gruppen mitunter mich als zugehörig empfinden.

Mein Kommentar: Das kenne ich. Geht mir bis heute so. (Nachtrag: Das hat sich deutlich verändert! Habe ein Peer Netzwerk aus Aspies/Hochbegabten/BDSMlern gefunden, in dem ich vollkommen spiegeln kann. Und auch das Zugehörigkeitsgefühl in neurodiversen Gruppen ist da. Mal mehr, mal weniger.)

NT: Ich komme ganz gut mit dem Leben klar und habe schon lange nicht mehr Depressionen oder größere Angstanfälle gehabt.

Mein Kommentar: Das geht auch einigen Autisten wie z.B. mir so. Ich hatte früher Depressionen und Ängste und so, aber auch seit langem nicht mehr.

?: Ich verletze mich bei emotionalem Druck selber und beisse in meine Hand.

Mein Kommentar: Ah ja; bei Overloads kann so etwas vorkommen; bei einem NT wäre das möglicherweise ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung, bei einem ein Autist ein Hinweis darauf, nicht rechtzeitig gutes Zustands-Management betrieben zu haben. Hier wird dann häufig der Absprung verpasst in Situationender Hilflosigkeit/des Überschwemmtseins mit Informationen und ähnlichem.

?: Ich habe eine Tendenz zu Angststörungen und Phobien, die in den letzten Jahren erheblich verbessert und eventuell grade verschwunden ist.

Mein Kommentar: Das kann wie oben für einen neurotischen/traumatisierten NT gelten wie auch für einen Autisten, der aufgrund von Unsicherheiten in seiner Wahrnehmung und ähnlichem und Unkontrollierbarkeit der Umgebung Ängste hat/entwickelt.

Aspie: Ich bin geräuschempfindlicher als andere Menschen, Lichtempfindlicher, Berührungsempfindlicher, Temperaturempfindlicher.

Mein Kommentar: Jaaaaaa …. Ein Kreuz. Jedenfalls für mich.

Aspie: Ich tue mich schwer damit, meine Gedanken und Gefühle zu teilen. Nicht, weil ich sie nicht in Worte fassen könnte, was zugegebenermaßen schwer ist, sondern, weil ich nicht dran denke, es kommt nicht automatisch

Aspie: Ich muss mir Automatismen / Routinen einfallen lassen um an Dinge zu denken. Ich nehme z.B. Dinge oft nicht wahr, wie z.B. die leeren Coladosen auf dem Tisch.

Aspie: Ich muss mich selber an Floskeln erinnern, um sie zu sagen, wenn z.B. eine Kollegin ein Kleid anhat, dies zu erwähnen

Mein Kommentar: Ja, die NT´s benutzen Sprache als soziales Gleitmittel und mögen Floskeln manchmal. Ich benutze sie gar nicht mehr.

Aspie: Ich verwende manchmal Sätze, die ich von anderen entliehen habe, ich habe als Jugendliche so viel Verhalten entliehen, dass ich nicht mehr wusste, wer eigentlich ich bin.

Mein Kommentar: Das ist schrecklich; ich kenne das. Das mündete mit 27 irgendwann in dem verzweifelten Ausspruch: Ich habe keine Identität (gegenüber einem Vertrauten). Wenn man sich ständig versucht, bis zur Unkenntlichkeit anzupassen, ist das eigentlich ein verständlicher Effekt.

Aspie: Ich brauche einen Plan um etwas tun zu können. Ich kann nicht im Vorbeigehen den Tisch abräumen, sondern ich setze Zeit dazu an, erst die Spülmaschine zu leeren, dann die Sachen vom Tisch in die Maschine zu räumen und dann zu kochen. Wenn ich einfach nur den Tisch sehe, kommt mir das wie eine unüberwindbare Aufgabe vor.

Aspie: Ich überreagiere, wenn Dinge sich anders entwickeln als ich vermutet hätte und ich mich nicht schnell genug anpassen kann (anpassen = einen neuen vermutlichen Situationsausgang erdenken und mich gefühlsmäßig darauf einstellen).

Mein Kommentar: O ja; das hab ich früher ständig gehabt; mittlerweile aber innerlich und in verlässlichen Strukturen, die ich selbst gestalte, gar nicht mehr.

Aspie: Ich kann mich nicht einfach in den Arm nehmen lassen sondern muss mich auf die Art Berührung vorbereiten

Aspie: Ich schaukel mit dem Öberkörper manchmal hin und her, um mich selber zu beruhigen

Mein Kommentar:   

?: Ich drehe an meinen Haaren

Mein Kommentar: Ich gehe abends beim Fernsehen manchmal sehr lange mit den Fingern durch die Haare und mag es, wenn es manchmal etwas ziept und ich dann die Haare in der Hand habe.

NT: Ich habe keinerlei Spezialinteressen, ich bin in nichts richtig gut.

Mein Kommentar: Spezialinteressen allein sind kein Diagnosekriterium ; und dass du in nichts richtig gut bist, bezweifle ich stark.

NT: Ich lese gerne Romane und Fiktion und versetze mich emotional in die Figuren.

Mein Kommentar: Ich auch; manche Menschen lernen auch ganz viel von den Figuren; wie man sich verhalten kann und so (Nachtrag: Siehe z.B. „Life, animated“).

NT: Ich kann mich emotional einer Fernsehserie genauso zugehörig fühlen wie meiner Familie

Mein Kommentar: Ich auch.

NT: Ich kann mir Zahlen nicht gut merken.

Mein Kommentar: Kein Grund, kein Aspie zu sein; bei Autismus geht es nicht um das Mögen von zahlen, sondern eher um Mustererkennung und ähnliches.

Aspie: Ich habe kein Gefühl für Abstände, weder zeitlich noch räumlich.

NT: Ich habe ein gutes Gefühl für angemessenes Verhalten und bin sehr zurückhaltend in sozialen Situationen.

Mein Kommentar: Das macht auch Sinn; auf einem Symposium in Paris neulich meinte Dr. Atwood und eine Aspie Ärztin, dass Mädchen offenbar besser kompensieren können.

Aspie: Mein Interesse kann auf etwas Spannendes gelenkt werden in einem solchen Grad, dass ich vergesse, mich in einer sozialen Situation zu befinden.

Aspie: Ich nehme Andere oft wahr, ohne auf sie zu reagieren, z.B. höre ich dass K. (Ehemann) nach Hause kommt und sehe ihn in den Raum treten, aber ich habe keine Lust aufzublicken und mich in dem unterbrechen zu lassen, was ich grade tue.

Mein Kommentar: Schön. Dass du noch nicht so überangepasst bist; meine Eltern haben mir so was ausgetrieben; ich kehre erst langsam wieder in meinen Ur-Zustand zurück.

Aspie: Ich kann unfreundlich wirken ohne es zu wollen, ich habe z.B. grade zu K. gesagt, dass er sich gerne zu mir setzen kann, dass ich aber nicht mit ihm reden will, weil ich eine mail schreibe. Er darf gerne hier sein, aber ohne mich anzusprechen. Erst als er komisch lachte und aus dem Raum ging fiel mir auf, dass das vielleicht unfreundlicher gesagt war als ich gemeint habe.

Mein Kommentar: Wenn ich auf etwas konzentriert bin, bin ich auch in so einem Modus; hat bei einer normalen Arbeit schon zu ungemütlicher Kritik an meinem Sozialverhalten geführt. In einer guten Kommunikationsumgebung aber kein Problem mehr.

Aspie: Ich tue mich leichter mit älteren Menschen und mochte schon als Kind oft Erwachsene lieber als andere Kinder.

Stäbe

26.06.2012

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris

 

Die Quintessenz der Verhinderung eines Lebens.

Ob heute oder vor 110 Jahren:  Diese Art des Einfühlens in ein anderes Lebewesen in einer von  Nicht-Autisten  dominierten Welt scheint mir selten vorzukommen.

Sie können es jetzt nicht sehen, aber ich knie gerade huldigend vor einem lebensgroßen Bild des Dichters. Das geht ganz schön auf die Knie, deshalb bitte ich um Verständnis, dass ich nun fortfahre.

2  Sätze am Anfang dieses Stücks, die mein Leben verdichten.

im Jahr 2000 hab ich es das erste Mal gelesen; als Inspirations-Vorgabe eines Lehrers für ein Hörbild,, das ich als Auszubildende zur Mediengestalterin Bild und Ton machen sollte.

Lustigerweise habe ich dabei neben einer Enkelin Rilkes gesessen.

Es dauerte nicht mal eine Stunde; da wusste ich, was dazu passt: Ein sensorischer Overload eines autistischen Menschen in einem Cafe.

Wie ich darauf kam? Das berühmte Unterbewusstsein oder wie es andern Orts heißt ich als ich, wenn ich nicht verhindere, was Wahrheit ist,  wusste offenbar die ganze Zeit  Bescheid über mich. Wusste, dass ich autistisch bin. Wusste, dass es da in diesem Hörbild um niemand anderen als mich gehen sollte.

Ich habe diesen Overload akustisch so montiert, wie ich ihn schon unzählige Male zuvor erlebt hatte, ohne zu wissen, was er bedeutet für mein Leben.

Hört sich pathetisch an? Stimmt. Existentialistische Dinge klingen manchmal genau so dramatisch, wie sie sind.

Im Vorübergehn der Stäbe …

Ich bin sicher mehrmals um die Welt gegangen und zu meinem Entsetzen immer an diesem Ort der Beschneidung angelangt; an diesem Ort, der nirgends ist; an diesem Ort, der mich trennt.

Unsichtbar, ja; aber sie sind da, die Stäbe. Ich kann sie sehen.

Ich pralle an ihnen ab, wenn ich sie selbst fast vergessen habe.

Immer wieder sind da Menschen, die von draußen auf mich schauen und nicht sehen, was da unsichtbar ist zwischen uns. Sie können  die Stäbe gar nicht sehen, aber sie können sie spüren. Sie werden ärgerlich, wenn sie im Weg sind, weil sie die Barriere nicht sehen können. Sie sind ganz enttäuscht dann, weil sie die Stäbe für eine Sabotage halten, die sie mir gar nicht zugetraut haben; nett und neurotypisch, wie ich meist wirke.

Wenn ich hinter die Stäbe  schaue, dann ist da ja doch irgendwie Welt. Ja gut, aber …

Was ist denn da, wenn da Welt ist? Wie findet die denn statt? Nichts, was ich greifen könnte. Nichts für mich zu begreifen.

Ich bin ganz allein an diesem Ort. Was eigentlich O.K. ist, wenn ich nicht gerade versuche bei irgend so einer Mainstream-Sache mitzumachen und an den Stäben abpralle.

Nimm dich in acht, Chaos. Ich kann dich auf meinem inneren Gleichgewicht herumhopsen sehen!

Das macht dir gar nichts; ich weiß. Ich dachte, ich drohe einfach mal der Form halber.

Das muss es ja auch geben.

Die Fahrt in den Zügen ist ein Kaleidoskop aus rhythmischen und manchmal unerwarteten  harten, spitzen Geräuschen, unkontrollierbaren Einheiten Mensch,  die natürlich meist in total falschem Rhythmus meinen Weg kreuzen. Wär ja auch zu schön, wenn jeder einfach nur immer rechts auf den Treppen entlangginge statt kreuz und quer; mal links, mal in der Mitte. Überall bewegen sich Dinge. Rolltreppen, Menschen, Lichter.

30 Meter von mir verschiebt sich ein Screen. Er flimmert; sein Bild läuft ständig durch. Ich flüchte und stehe vor einer unbewegten Litfaßsäule. Als ich mich umdrehe, bekomme ich einen Riesenschreck, denn vor mir steht ein riesiger Mann. Es ist nur eine überlebensgroße Fotografie.  Sie hat mich zu Tode erschreckt.

Ich schlucke tapfer und schaue auf die  reflektierenden Lichter, die hier und da aufblitzen, um völlig ungeordnet kleine, stichelnde Reize an mein Gehirn zu senden.

Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom.

Wie ist das eigentlich?

Wie ist das eigentlich, wenn du unsichtbar für andere mit Barrieren kämpfst und selbst die besten Freunde nicht begreifen, wer du eigentlich ist und du selbst auch nicht?

Wie ist das eigentlich, dich über Jahrzehnte  wie ein Möchtegern-Mensch zu fühlen, wie ein falsches Selbst; wie eine, die den Fehler einfach nicht finden kann, egal, wie oft sie das System überprüft?

Wie ist das eigentlich, wenn sich Menschen abwenden, ohne dir zu sagen, welchen Fehler du gemacht hast, aber immerhin durch plötzlichen Kontaktabbruch dir zeigen, dass du wieder etwas falsch gemacht hast; irgendeine ungeschriebene Regel verletzt?

Wie ist das eigentlich, wenn sogar deine eigene Mutter glaubt, dass du niemanden lieben kannst; nur gut schauspielern, um deinen Egoismus zu kaschieren?

Wie ist das eigentlich, die Worte zu hören, aber die Botschaft nicht?

Wie ist das eigentlich, wenn du Signale nicht verstehst und erst nach dem Kaputt-Treten deiner Grenzen  begreifst, das Wesentliche  nicht rechtzeitig dechiffriert zu haben ?

Wie ist das eigentlich, wenn du wie ein froher junger Hund durch die Welt springst und dann niedergebrüllt wirst dafür, dass du kein Kätzchen bist?

Wie ist das eigentlich, wenn du dich mit pochendem, angstvollen Herz in die Stunde schleichst  und vom Lehrer verhöhnt und gedemütigt wirst, weil dein verhalten unglaubwürdig sei?

Wie ist das eigentlich, dich ein halbes Leben nicht wehren zu können, weil du nicht versteht, was sie dir antun?

Wie ist das eigentlich, wenn sie an dir zerren und wissen wollen, was los ist, wenn du auch nur eine Sekunde du selbst bist?

Wie ist das eigentlich, wenn du sagst: Ich kann nicht mehr und du meinst, dass der Lärm, die Lichter, die falschen Rhythmen, die Ohnmacht, das Chaos der ach so geordnet wirkenden Stäbe  es dir nicht möglich macht in die U-Bahn zu steigen, und sie verstehen: Ich kann nicht mehr; ich würde viel lieber lesen oder mal wieder Urlaub machen?

Wie ist das eigentlich, wenn du einen Sog hast, der dich zum Studieren, Vertiefen und Versenken zieht und kannst ihm nicht folgen, weil du sonst all deinen Überblick über das Chaos komplett verlierst?

Wie ist das eigentlichen, wenn du tagtäglich in den Zügen gegen den Sog kämpfst, nur damit die anderen Menschen nicht fühlen können, dass dort Stäbe sind zwischen dir und ihnen?

Wie ist es eigentlich dein ganzes Leben Projektionsfläche für  andere Menschen zu sein und selbst nur zu schauen und die reine Information zu suchen?

Wie ist das eigentlich, vor lauter unsichtbaren Assoziationsketten in deinem Kopf kaum Blick auf den Strang zu haben, der zu deinem Alltag führt?

Wie ist das eigentlich, dich dein Leben lang wie ein Möchtegern-Mensch zu fühlen, der nicht mitmachen kann, weil ihn die Stäbe daran hindern, und doch glaubst du nur, du hast einen Fehler im System?

Wie ist es eigentlich, so oft gescheitert zu sein, dass du das Leben schon aufgegeben hattest?

Wie ist es eigentlich, das Wunder erlebt zu haben, am dunkelsten Ort das reinste Licht erfahren zu haben?

Wie ist das eigentlich, wenn Du all dein Flattern verhinderst, all dein Verzögern, damit du die anderen nicht erschreckst?  Oder sie dich.

Wie ist das eigentlich wenn du dich selbst ganz verhinderst, damit du nicht durch die Stäbe blitzen lässt, was in dir lebt?

Ja. Wie ist das eigentlich.

Ach, und Sie haben gar keine Inselbegabung? Nö. Glaub nich.

Ja, Routinen hab ich auch. Duschen und so. Jeden Morgen mach ich das. Es ist zum Verrücktwerden. Und wenn dann mal kein Kaffee da ist. Grauenvoll, ich sags ihnen. Ja, ein bisschen Autismus steckt wohl in uns allen, was?

Ja?

Soso …