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Monat: Januar 2015

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs Teil 2

Reflektionen zu autistischer Kommunikation Teil 2

 

2.1 Autistische Kommunikation- Ein kommunikations-psychologischer Exkurs
(Ausschnitt aus meiner Mediationsabschlussarbeit “Mediationsbasierte Kommunikations-Settings für autistische Erwachsene 2014, Punkt 3)

Fünf Axiome menschlicher Kommunikation und deren Bedeutung für die Annahme, Störungsphänomene im Bereich Autismus als Systemkonflikte zu benennen (und damit als kulturelle Konflikte zu definieren)

Paul Watzlawick, einer der berühmtesten Kommunikationswissenschaftler und Philosophen unserer Zeit, hat uns neben zahlreichen Erkenntnislandschaften die fünf Axiome menschlicher Kommunikation hinterlassen.

Also nicht weiter zu beweisende Grundannahmen darüber, wie die Logik menschlicher Kommunikation als grundlegende Ordnung funktioniert.

Als übergeordnete Denkprinzipien für alle Normen, die Menschen darauf aufbauend im Bereich Kommunikation auch setzen mögen.

Da diese Axiome den Menschen weitestgehend unbewusst sind, außer denen vielleicht, die sich professionell, aus Leidenschaft oder Not damit befassen, ergibt sich hier schon der erste Aspekt, wieso es so schwierig ist, greifbare Angebote im Bereich Kommunikation für autistische Menschen zu machen.

Zu wenig verstanden scheinen die Eckpfeiler der jeweiligen Funktionsweisen, wenn es um Kommunikation geht.

Viel wäre gewonnen, wenn es möglich wäre, mit einem einfachen, bekannten Modell die Unterschiedlichkeit der autistischen Kommunikation auf einen Kern zu fokussieren.

Versuchen wir das mal. ☺

Die erste Annahme Paul Watzlawicks, das erste Axiom, lautet:

„Man kann nicht nicht kommunizieren.”

Damit ist gemeint, dass unter der Voraussetzung, dass jedes Verhalten Kommunikation ist und man sich nicht nicht verhalten kann, man wahrscheinlich nicht nicht kommunizieren kann.

Dieses Axiom hat mich schwer zum Grübeln gebracht. Unterstellt das Axiom ja auch, dass jede Kommunikation eine Intention hat: Dass es quasi kein Verhalten gäbe, das nur auf sich selbst bezogen sei bzw. nicht unbewusst oder bewusst die Nicht-Kommunikation kommuniziert.

Das Beispiel von der Frau, die auf den Boden des Wartezimmers starrt, könnte ja auch bloßes Sein ausdrücken als dass es ausdrückt, dass sie keinen Kontakt wünscht. Sein in einem Schwebemodus, wo weder Kommunikation stattfindet, noch dass sie stattfindet. Quasi eine Art Katzenzustand (siehe Schrödingers Katze).

Oder ein Sortierprozess, in dem Informationen, die sich gequetscht und gestaut haben, nachsortiert werden, so dass letztlich alle Kapazitäten in diesen Sortierprozess gehen (diese Überlegung basiert auf dem Wissen darüber, das AutistInnen durch fehlende Wahrnehmungsfilter im Gehirn ständig einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt sind, die oft für Überlastung sorgen).

Da wir aber ja auch wissen, dass immer der Empfänger bestimmt, wie eine Nachricht verstanden wird, ist die Intention obsolet. Die Nicht-Nachricht wird ggf. als Nachricht wahrgenommen und in o.g Beispiel als Vielleicht Unhöflichkeit wahrgenommen.

Hier scheint mir die Fähigkeit und das Bewusstsein darüber, sich gegen feindselige Projektionen vergleichgültigen und/oder wehren zu können, äußerst wichtig.

Das nur am Rand. 🙂

Viel entscheidender für meine Überlegungen sind das zweite Axiom und das vierte (sie bedingen einander).

Das zweite Axiom lautet:

„Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.“

Das vierte Axiom lautet:

„Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten.“

Hier wird es interessant. Denn laut Watzlawick hat der Beziehungsaspekt Vorrang vor dem Inhaltsaspekt. Oder anders ausgedrückt: Beziehung ermöglicht Inhalt.

Nun ist es offensichtlich so, dass autistische Kommunikation es genau anders herum handhabt. Hier hat der Inhaltsaspekt Vorrang vor dem Beziehungsaspekt. Oder anders ausgedrückt: Inhalt ermöglicht Beziehung.

Außerdem verwenden autistische Menschen Sprache vorrangig funktional; oder anders ausgedrückt. Sie bedienen sich vor allem digitaler Modalitäten.

Das, was ich sage, vor dem wie ich wirke.

Analoge Kommunikation wie z.B. Körpersprache, somatische Marker wie dramatisches Ein-oder Ausatmen, pochende Halsschlagadern, Mimik und Gestik haben für sie eine untergeordnete/andere Stellung. Hier kann man ein ziemlich breites Spektrum beobachten von Autisten, die quasi gar keine analoge Kommunikation sehen oder dechiffrieren können bis hin zu welchen, die es zu außerordentlichen Leistungen auf diesem Gebiet bringen.

Einer meiner Kollegen in der Schweiz beispielsweise sieht keine Gesichter. Er orientiert sich an den Stimmen der Menschen. Da können sie zehnmal die Augenbraue heben; er wird es nicht würdigen.

Ich vermute, dass die Vorliebe für digitale Modalitäten darin liegt, dass diese eindeutig sind und  nicht so viele Reize mit anspülen. Einer der Gründe, warum autistische Menschen häufig keinen Blickkontakt anwenden.

Aufgrund der Filterlosigkeit autistischer Gehirne kommt es zum einen zu Verzögerungen in Wahrnehmung und Verarbeitung, zum anderen entsteht in einer Welt voll Lärm, Gleichzeitigkeit und hohen sozialen Erwartungen schnell ein hoher Stresslevel.

Stressmanagement ist dann neben beruflichen und privaten Themen ein häufiger Beratungsanlass. Autistische Menschen sind drängender und ungleich intensiver als Nicht-AutistInnen mit der Notwendigkeit effektiven Zustandsmanagements konfrontiert, denn „sie sind ähnlich wie ManagerInnen und SpitzensportlerInnen auf dem Sektor des Stresslevels vergleichbar mit eben diesen ´HighperformerInnen´“ (Schramm 2013).

Da analoge Kommunikation weitestgehend dem Beziehungsaspekt  zugeordnet wird und wir gelernt haben, dass üblicherweise bei nicht- autistischen Menschen dieser vor der Inhaltsebene steht, verwundert es noch weniger, wieso im Aufeinandertreffen der beiden Kulturen spontane Missverständnisse die Regel sind.

Handlungen machen nur in einem entsprechenden Kontext Sinn.

Wenn die als selbstverständlich gesetzten Kontextordnungen so grundlegend unterschiedlich sind, macht es nur wieder Sinn, was der Andere tut, wenn er wahrscheinlich gestört ist oder womöglich einfach unhöflich. Was manch einer dann auch möglicherweise von seinem autistischen Gegenüber zunächst annimmt.

Es sei denn, man kennt den Kontext. Dann hat man wieder einen zusammen passenden Ordnungsrahmen; auch, wenn es nicht der eigene ist.

So machen dann auch für AutistInnen so seltsam und zunächst sinnlos erscheinendes Small Talk Verhalten nicht-autistischer Menschen Sinn. Sie stellen erst die Beziehung her und dann reden sie über Dinge. Dass es hier nur scheinbar um Inhalte wie das Wetter geht, ist besonders irreführend, da man hier zunächst vermuten könnte, dass es tatsächlich um das Wetter geht. Tatsächlich ist das Thema aber die Beziehung bzw. eine bestimmt Art, einen Abgleich über Status, Ähnlichkeit, Zugehörigkeit vorzunehmen (Ausnahmen bestätigen die Regel wie immer).

Ein autistischer Mensch kann mit diesem Zugang zu anderen Menschen meist nichts anfangen und steht im Zweifel stumm wartend da, bis vielleicht Inhalt kommt. Wenn er auf einen solchen dann eingeht, ist seine Umgebung meist verwirrt, weil seine Beteiligung unangemessen scheint.

Er hat die Beziehungsebene vorher nicht hergestellt.

Betrachten wir einen Aspekt analoger Kommunikation einmal genauer:

Den Blickkontakt.

Blickkontakt gilt in westlichen Gesellschaften immer noch als ein Indikator für Zugewandtheit und Interesse. Für autistische Menschen jedoch ist Blickkontakt häufig eine Überfrachtung ihres Informationszentrums. Hier gilt es nämlich, die  Informationen des Gesagten gleichzeitig mit den Informationen des Gesichts aufzunehmen.

Autistische Menschen finden es häufig schwierig, verschiedene Informationen gleichzeitig aufzunehmen. Dazu kommt, dass die Informationen des Gesagten mit der Mimik des Sprechers nicht immer übereinstimmen muss, so dass diese Inkongruenz allein schon zu einer Verwirrung führt, insbesondere dann auch, wenn die Mimik auch so nicht unbedingt alleine lesbar wäre.

Ganz davon zu schweigen, dass ja auch im Tonfall noch Informationen/Gefühle enthalten sind, die ggf. die wahrgenommenen  Inkongruenzen weiter verstärken und zu noch mehr Überforderung führen.

Das temporäre oder gar dauernde Wegschauen heißt hier also vor allem: Ich konzentriere mich auf das, was du sagst. Ich bin ganz bei dir.

Bei nicht-autistischen Menschen kommt das Wegschauen allerdings je nach Neurosengrad als Irritation zumindest an, denn hier ist kein intuitiver Abgleich von Beziehung mit den gewohnten Mitteln möglich. Blickkontakt ist eine Möglichkeit von nicht-autistischen Menschen sich sozial sicher zu fühlen bzw. sich mit dem anderen sozial abzugleichen und einander das OK zu vermitteln. Hier findet also im Kontakt häufig eine tiefgreifende Verunsicherung statt, die viele NT´s als innere Abwehr wahrnehmen.

Ein weiteres analoges Kommunikationsmittel ist die sogenannte Körpersprache.

Die Körperhaltung ist ein sogenannter somatischer Marker für die innere Haltung (sich selbst und dem anderen gegenüber) und Ausdruck von Gefühlen.

Auch hier gibt es häufig Abweichungen, die für Irritationen Anlass sein kann.

Auf die Spitze getrieben ist dieses Problem für (“frühkindliche”) nichtsprechende  AutistInnen, die im beobachtbaren Verhalten häufig keinerlei Reaktion auf Gehörtes zeigen, offensichtlich mit etwas anderem beschäftigt und zudem noch mit weiteren irritierenden Dingen wie nicht konsensfähigem Verhalten wie abwesend Wippen und dabei zählen oder ähnlichem und womöglich mit wenig oder extremer Körperspannung auffallen.

Hier lernen selbst andere Autisten oder reflektierte Profis noch dazu, wie Douglas Biklen in seinem Buch „Autism and the myth of the person alone“ eindrucksvoll beschreibt, wie eine der ProtagonistInnen des Buchs, Lucy Blackman,  anscheinend teilnahmslos gegenüber seinen Fragen und Annäherungen war, bis sie ihn nach 2 Tagen mit einer reflektierten Äußerung zu seinen Fragestellungen überraschte, die offenbarten, wie sehr sie zugehört hatte und wie sehr sie auch reflektiert hatte, wie es ihm dabei gehen müsste.  Sie zeigte mit ihrer Antwort also Empathie und Kognitive Komplexe Fähigkeiten. Was aus ihrer Körperhaltung und ihrem Verhalten nicht im mindesten ersichtbar war.

Dies ist quasi das äußere Ende abweichenden Kommunikationsverhaltens.

Hier wird also nochmal deutlich, wie sich die Wahrnehmungslogiken der beiden Kommunikations-Kulturen unterscheiden.

Was in der einen neutral bis positiv besetzt ist, ist in der anderen als negativ besetzt; als ein Zeichen mangelnder Wertschätzung oder mangelnden mentalen Vermögens.

Soll also Kommunikation wechselseitig gelingen, wobei wir Gelingen hier als ein wohlwollendes Annähern an die jeweils andere Kultur/Welt des anderen verstehen, dann gilt es, die Besonderheiten des Partners zu einem gewissen Grad kennen zu lernen. Damit kann man zwei Ziele erreichen.

Zum einen eine erleichterte Interaktion, zum anderen aber auch einen tieferen Grad von Selbsterkenntnis oder Selbstexpertise, was für den nicht-autistischen Part zumindest spannend, für den autistischen Part mindestens aber überlebenswichtig sein dürfte (was soziale Situationen betrifft). Die Rückschlüsse auf der Beziehungsebene in der Interaktionsbeobachtung autistischer Menschen müssen also fast zwangsläufig in die Irre führen, denn sie beruhen auf völlig unterschiedlichen Ausgangs-Logiken. Unter den soeben erörterten Bedingungen sind sie dennoch plausibel. Sozusagen angemessen.

Abweichungen vom Konsens guter Kommunikation führen fast schon zwangsläufig zu Konflikten, so sie nicht auf der Meta-Ebene reflektiert werden. Es drängt sich also der Verdacht auf, dass es hilfreich sein müsste, hier gegenseitig Aufklärung über die unterschiedlichen Dispositionen zu leisten.

Wenn wir annehmen, dass wir im Bereich Autismus von sozusagen unterschiedlichen Kulturen sprechen, dann können wir mit Gerhard Schwarz auch schlussfolgern, dass die Störungsphänomene hier auf einen Systemkonflikt hindeuten.

Denn „Interkulturelle Konflikte sind oft Systemkonflikte, deren Lösung voraussetzt, dass die zugrundeliegenden Denklogiken reflektiert und die jeweiligen Grundwerte erklärt werden. Erst das wechselseitige Anerkennen dieser Axiome ermöglicht ein gemeinsames Verständnis unterschiedlicher Standpunkte und dann gemeinsames Handeln.“ [2]

Oder anders ausgedrückt: „Der Mensch einer anderen Kultur kann nur dann ganzheitlich erfasst werden, wenn seine Denkprinzipien miteinbezogen werden. Dies gelingt in der Praxis im Allgemeinen nur durch Einführen einer Metaebene, auf der die Hintergründe des Konfliktes gemeinsam analysiert werden können. Erst der dadurch erreichte gemeinsame Lernprozess ermöglicht es, eine Lösung des jeweiligen Konfliktes zu finden.“ [3]

Meist wird im Bereich Autismus auf der Ebene der Verhaltensregeln diskutiert, ohne die darüber liegenden Denk- und Wahrnehmungsprinzipien zum Thema zu machen. Die meisten Menschen, die sich nicht explizit mit Kommunikationspsychologie befassen, haben kein Bewusstsein darüber, dass die Selbstverständlichkeit, mit der sie Wahrnehmung und Bedeutung in ihrer Welt als gegeben und als Einheit betrachten, dazu beiträgt, dass sie den anderen im Grunde nicht als Unterschiedlichen wahrnehmen, dessen Perspektive ebenso wertvoll ist wie seine eigene.

 Nur in der Störung der Kommunikation wird das schmerzlich deutlich.