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Monat: Dezember 2014

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs Teil 1

Autistische Kommunikation – ein kommunikationspsychologischer Exkurs

Überarbeitete Fassung Mediations-Abschlussarbeit zur international zertifizierten Mediatorin für Wirtschaft und Arbeit 2014, Titel: “Mediationsbasierte Gesprächssettings für autistische Erwachsene”

Autistische Menschen im Spannungsfeld individuellen Ringens um Identität und Teilhabe

Möglicherweise gibt es kein Phänomen, das so komplex und so mystifiziert ist wie das Phänomen Autismus.

Es existieren zahlreiche Versuche, Autismus zu kategorisieren, zu klassifizieren. Versuche, den Kern, das Wesen der autistischen Disposition zu erfassen.

Dies ist insofern denkbar schwierig, weil die anerkannten Definitionen von Autismus als tiefgreifender Entwicklungsstörung mit Defiziten in Empathie und Interaktion aus meiner Sicht zum einen einfach stigmatisierend und diskriminierend sind, zum anderen auch nicht abbilden, was man vorfindet, wenn man in die autistische Community eintaucht. Die Heterogenität ist geradezu frappierend, wenn man überlegt, wie sehr in den Medien und auch z.B. noch in den Köpfen der medizinischen Fachwelt das Bild des männlichen, technikaffinen, introvertierten Nerds vorherrscht, der keinen Kontakt mit Menschen will und hauptsächlich gerne Dinge sortiert. Wenn er nicht gerade Telefonbücher neu katalogisiert.

Woran im Übrigen seine eiskalte Mutter schuld sein soll, einer verrückten Minderheit zufolge. 😉

Die Realität ist bunt. Da gibt es den geradezu umwerfend charismatischen Physiker, der zu seiner Erbauung Improvisations-Theater macht, den mutistischen (nicht-sprechenden) IT-Nerd, der die wenigen Worte, die er spricht, wenn er dazu genötigt wird, mit keinerlei emotionalem Ausdruck kombiniert, dessen Gedanken und Gefühlswelt aber angefüllt sind mit empathischen Überlegungen über die Welt und was sie besser machen könnte, die introvertierte Maschinenbauerin, die in ihrer Freizeit leidenschaftlich Klarinette in einem Orchester spielt und so weiter und so weiter.

So unterschiedlich autistische Menschen sind; es eint sie das Erleben von zeitweiligen oder dauerhaften Problemen von Überlastung und Überforderung in der Interaktion mit anderen (nicht-autistischen) Menschen und dementsprechend einer Teilhabe im Bereich Arbeit, Wohnen, Freizeit, Soziale Kontakte und Partnerschaft.

Wie kann man aber Autismus als Abweichung beschreiben, wenn nicht in den üblichen, ausgedienten, überholten medizinisch-defizitären Zuweisungen?

Und zwar so, dass hilfreiche und nützliche Schlussfolgerunen für die Unterstützung von selbstbestimmten Leben denkbar werden?

Einen Augenblick, liebeR LeserIn, ich muss nur noch kurz die Antwort auf das Universum und den ganzen Rest finden, dann komm ich auf die Frage zurück.

So, da bin ich wieder. Nun zu ihrer Frage. Oder war es meine? Egal. Sie verdient eine Antwort.

Abstrahiert man mal alle Individualität und Unterschiedlichkeit autistischer Persönlichkeiten, so bleibt ein Aspekt, der alle eint.

Eine von der Normalbevölkerung ganz offensichtlich erheblich abweichende Art, mit anderen Menschen zu interagieren.

Wie kann man nun autistische Kommunikation beschreiben?

Auf der beobachtbaren Ebene nehmen Autisten Sprache oft wörtlich, Scheinen lernresistent gegenüber dem Erfassen sozialer Situationen und gesellschaftlichen Konventionen; sagen, was sie denken und scheinen keine Dechriffiereinheit zu haben, die Körpersprache, Mimik usw. entschlüsselt. Was aber viel gravierender ist: Es scheint ganz vielen nicht zu gelingen, mit anderen in einen intuitiven Abgleich zu geraten über die Beziehungsebene. Wieso AutistInnen mit anderen einfach nicht in Kontakt kommen, ist aus meiner Sicht die Kernfrage hier.

Denn dieses Problem generiert vielfach einen Leidensweg, der schon in der Schule anfängt. Denn wenn ich zu Gleichaltrigen keinen Kontakt herstellen kann und die nicht zu mir, dann bleibe ich stecken in Isolation.

Die vielfach beschriebene Entwicklungsstörung hat hier ihren Ursprung. Nicht in der Disposition selbst, wie ich meine, sondern in der fehlenden Möglichkeit mit anderen Menschen zu lernen.

Durch die sozialen Barrieren entwickelt sich also nach und nach eine Entwicklungsstörung, die häufig darin gipfelt, dass jemand quasi nicht sozialisiert ist und außerhalb seines familiären Umfeldes kaum Möglichkeit hatte, soziale Kompetenzen zu entwickeln.

Dass dies dann im Erwachsenenalter Schwierigkeiten bei Partnerwahl und Jobsuche generiert, ist geradezu folgerichtig.

Jemand, der schon mit der Frage ringt, ob er den Nachbarn nach 2 Jahren mal grüßen soll oder nicht, wird nicht gerade tiefenentspannt flirten können oder selbstbewusst in ein Jobgespräch gehen können.

Eigenständiges Wohnen und Arbeit sind neben anderen Bereichen wie Soziale Kontakte, Partnerschaft und ähnlichem existentielle Parameter erwachsenen Lebens.

So überrascht es denn auch nicht, dass etwa 50 % autistischer Erwachsene bis zum 45. Lebensjahr noch bei ihren Eltern leben und nur 20 % der als Asperger-AutistInnen gelabelten Menschen auf dem 1. Arbeitsmarkt und der große Rest arbeitslos ist oder in Werkstätten beschäftigt ist.

 

 

  1. Autistische Kommunikation in barrierefreien Räumen

Wie schon in Teil 1 erläutert, wird Autistische Kommunikation vom Mainstream der Fachwelt, Medien, Angehörigen und auch teilweise AutistInnen als defizitäre, entwicklungsgestörte Interaktion beschrieben mit Defiziten in Mimik-,Gestik- und Emotionserkennung und allgemeiner mangelnder Empathiefähigkeit.

Behinderung wird hier vornehmlich medizinisch definiert mit gravierenden Auswirkungen auf Selbstwertgefühl und Selbstverständnis autistischer Menschen. In Verbindung mit häufig erlebten sozialem Scheitern und Unterstützungsangeboten, die vor allem auf Normalisierung des Verhaltens abzielen, ergibt sich für eine große Zahl autistischer Menschen eine Art Einbahnstraße in Bezug auf Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein.

Ermutigende Ansätze, sich die Welt auf eigene Art, nämlich auf autistische, zu erschließen, werden dringend gebraucht.

VertreterInnen der Neurodiversität (Autismus als Variante unterschiedlicher neuronaler Disposition)  wie ich verstehen unter autistischer Kommunikation eine von der Norm abweichende Art der Kommunikation, die sich im Wesentlich darin auszeichnet, besonders unverstellt von sozialen Erwartungen das auszudrücken, was gerade ist. Und das unabhängig von sozialen Kontexten und möglichen Erwartungen von anderen.

Was unterscheidet denn nun autistische Kommunikation von nicht-autistischer unter kommunikationspsychlogischer Perspektive wenn sie nicht durch Defizite definiert wird?

Wie funktioniert autistische Kommunikation in barrierefreien Räumen?

In der Kommunikation unter AutistInnen kommt es auch zu Konflikten/Missverständnissen, schließlich ist diese Gruppe ebenso heterogen wie nicht-autistische, aber der soziale Abgleich/die Art der Interaktion scheint einen intuitiveren Zugang mit weniger grundsätzlicher Irritation zu erlauben.

Oder vereinfacht ausgedrückt. Die Krise ist hier nicht Programm.

Einer der ersten Autismus-Experten im deutschsprachigen Raum, der über autistische Kommunikation erhellende Erkenntnisse veröffentlich hat, ist Hajo Seng; autistischer Aktivist und Mitbegründer von autworker, Hamburg. Einem Unternehmen, das die Lebensbedingungen autistischer Menschen mit Öffentlichkeitsarbeit, Vorträgen und individuellen Angeboten verbessern hilft. Und das mit etwa 90 % autistischen MitarbeiterInnen.

Er schreibt in der Broschüre zum wichtigsten Peer-Angebot des Unternehmens, dem sogenannten Fähigkeiten-Workshop, über die Vorteile dieser Veranstaltungen nur unter Autisten:

„Durch den unmittelbaren und direkten Zugriff auf das eigene Unbewusste haben autistische Menschen extrem mächtige Selbstbefähigungspotentiale.

Diese Potentiale können sich in autistischen Gruppensituationen entfalten, wo sie aufeinander treffen und miteinander kommunizieren.

Dafür ist ein geschützter Rahmen erforderlich, der das Funktionieren autistischer Kommunikationsmechanismen garantiert.

In einem solchen Rahmen funktionieren die Gruppen wie Balintgruppen; die Behinderung durch ein nicht-autistisches Umfeld ist hier temporär aufgehoben.“

Diese Beobachtungen sind ein deutlicher Hinweis dafür, Kommunikationsprobleme autistischer Menschen quasi als wechselseitiges Problem zu betrachten und damit als Manifestation einer sozialen Behinderung, die nur in nicht- autistischen Kontexten zum Problem wird.

Oder um es mit Herrn Prof Arist von Schlippe auszudrücken: „Es gibt nur Fähigkeiten. Probleme entstehen manchmal, wenn Kontext und Fähigkeit nicht optimal zueinander passen.“[1]

Ganz offensichtlich passt der Kontext „Nicht-autistische Welt“ nicht optimal zu den Fähigkeiten autistischer Menschen.

Da autistische Menschen in einer Mehrheitsgesellschaft von nicht-autistischen Menschen leben, ist es geradezu lebenswichtig, Grundsätzliches zur Kommunikationswelt der anderen zu lernen , denn die Anderen sind der übergreifende Kontext, in dem man mit seinen Fähigkeiten zurecht kommen muss.

Ein Kontext, der im Erleben autistischer Menschen einer völlig unterschiedlichen Kultur mit unbekannten Regeln gleicht.

Das Finden von barrierefreien Nischen innerhalb der eigenen Kultur wie z.B. Aspie- und Autie Gruppen im Netz und auch lokal sind daneben nach wie vor enorm wichtig und stärken durch das Wegfallen der Kommunikations-Barrieren Selbstbewusstsein und Soziale Identität auf eine besonders nachhaltige Weise.

Eine der vielen Auswirkungen von Peer Kontakt im Autismus-Spektrum ist also ein Erleben von Akzeptanz und Wertschätzung.

Im Peer Support ist zudem die Reflektion und der Austausch über verschiedene Wege und Strategien, sich in der Welt zurechtzufinden möglich.

[1] Hajo Seng: Broschüre „Fähigkeiten-Workshop“, autWorker